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Konzept der Studie

3. Fragestellungen


Wie in den vorangestellten Absätzen bereits bemerkt, zielt die angestrebte Studie und letztlich die aus ihr hervorgehende wissenschaftliche Verschriftlichung der Ergebnisse auf eine sozial- und kulturwissenschaftlich umfassende Darstellung eines besonderen Reisephänomens. Umfassend heißt in diesem Sinne, dass möglichst alle auf das Phänomen wirkenden Einflussgrößen, alle persönlichen und gruppengenerierten Motivationsstrukturen die das Phänomen hervorbringen, alle aus dem vollzogenen Reiseakt resultierenden gesellschaftsbezogenen Transformationspotentiale und Transformationen und schließlich alle transkulturellen Kontaktprozesse und deren kulturelle und politische Bedeutungen für das Individuum und die betreffenden gesellschaftlichen Gruppen konstatiert, analysiert und in ein politisch-kulturelles System der Gegenwart nach Bedeutung und Relevanz eingeordnet werden sollen.
Die Ausgangsbasis dieser umfassenden Darstellung wird dementsprechend von unterschiedlichen Untersuchungsdimensionen gebildet, derer wiederum unterschiedliche Fragestellungen zugeordnet werden können. Am Ende jedoch ist es vornehmliches Ziel, den Konnex dieser Dimensionen untereinander zu entschlüsseln, um schließlich ausgehend von der Darstellung der Vielschichtigkeit des Phänomens ein integrierendes Funktionskonzept und dessen Bedeutung für das gesellschaftspolitische und kulturelle Leben in den betroffenen und untersuchten Menschengemeinschaften zu entwickeln.
Die zugrundeliegenden Untersuchungsdimensionen, auf Basis derer sich eine Einteilung der Fragestellungen in Gruppen realisieren lässt, können wie folgt benannt werden:

Fragestellungen in Gruppen realisieren lässt, können wie folgt benannt werden:
1. Historische Dimension
2. Politische Dimension
3. Politisch-touristische Dimension
4. Private Dimension

Die Benennung und Reihenfolge dieser Dimensionen sind nur zu einem geringen Grad als eine Einteilungsstruktur der angestrebten Arbeit anzusehen. Vielmehr dienen sie an dieser Stelle einem reinen Verständniszweck zur Erläuterung des Forschungsvorhabens bzw. zu dessen struktureller Vereinfachung.
Entsprechend soll hier – vor der Aufführung der den Dimensionen zugeordneten Fragestellungen – auch darauf hingewiesen werden, dass letztere und die ihnen im Laufe der Forschung nachgestellten Antwortversuche niemals isoliert betrachtet werden sollen und können. So ergeben sich immer auch Überleitungen und Verbindungen zwischen Ihnen, deren Feststellung und Analyse letztlich der Zeichnung eines Gesamtbildes und der wissenschaftlichen Produktion eines integrierenden Funktionskonzepts des Phänomens zuträglich sind.

Fragestellungen geordnet nach Untersuchungsdimensionen (als Ausschnitt bzw. Initialfragen zu verstehen):

1. Historische Dimension

a. Welche historischen Marker in der Geschichte des lateinamerikanischen Teilkontinents trugen seit seiner Wiederentdeckung im 15. Jahrhundert zur Schaffung und Etablierung des Images „Kontinent namens Revolution“ bei?

b. Was unterscheidet die kulturelle und politische Entwicklungen auf dem Subkontinent historisch von denen anderer Kontinente und Regionen? Stichworte: Kolonisierung, Dekolonisierung, Rekolonisierung

c. Inwieweit hängen Imaginationen, Klischees und Erwartungshaltungen der ersten Explorationsreisenden mit kontemporären Bildern von der Region zusammen; in wieweit beeinflussen diese sich gegenseitig und tragen letztlich zu deren Image als „(politische) Gegenwelt“ bei?

2. Politische Dimension

a. Welche kontemporären Politikentwicklungen gibt es in Lateinamerika und zu welchem Grad bzw. in welcher Weise speisen diese sich ideologisch aus der Revolutionsgeschichte des Teilkontinents?

b. In welchen lateinamerikanische Ländern ist die gegenwärtige Politikentwicklung die Fortsetzung einer spezifischen Revolutionsgeschichte bzw. eines spezifischen Revolutionsmythos und welche Regierungen befinden sich dem Selbstbild nach immer noch bzw. wieder im Stadium einer Revolution?

c. Wie hängen globale Politikentwicklungen und politische/wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Ländern Lateinamerikas und anderen nicht lateinamerikanischen Ländern heute mit einer „neuen revolutionären Identität“ Lateinamerikas zusammen; in wieweit lassen sich diese als ausschlaggebender Grund für „revolutionäre Politik“ in einzelnen lateinamerikanischen Ländern ansehen?

d. Welche Politik- und Wirtschaftsentwicklungen in nicht lateinamerikanischen Ländern (beschränkt auf Nordamerika und Europa) dynamisieren die Generierung von politischen Gegenentwürfen in einigen Ländern des Teilkontinents?

e. In welchen Staaten Lateinamerikas ist ein spezifischer Revolutionsgedanke Teil der offiziellen Regierungspolitik und in welchen wird dieser durch oppositionelle Kräfte verfolgt?

3. Politisch-touristische Dimension

a. Welche poltisch-touristischen Reisedestinationen gibt es in den Ländern Lateinamerikas? (hier sollte ein umfassender geographischer Überblick das Ziel der Untersuchung sein)

b. Inwieweit speist sich deren politisch-touristische Relevanz aus 1. einer spezifischen Revolutionsgeschichte der betreffenden Regionen und 2. aus aktuellen Politikentwicklungen mit Revolutionscharakter?

c. Wo und wie liegen die Anfänge des politisch motivierten Tourismus in Lateinamerika und wie wurden diese bis heute von den betreffenden Akteuren in einem touristischen, einem wirtschaftlichen, einem kulturellen und in einem politischen Sinn verwertet?

d. Inwieweit beeinflussen die „Reisebilder“ der ersten politisch Reisenden in Lateinamerika die Erwartungen und Ansprüche kontemporärer politisch Reisender in der Region? Welche Images wurden wie durch die ersten politisch motivierten Reisebewegungen gezeichnet und inwieweit bilden sie das Fundament politischer und kultureller Realitäten?

e. Wie wurden in der Vergangenheit solche Images des „revolutionären Lateinamerikas“ in den unterschiedlichen lateinamerikanischen Reiseländern in einem rein wirtschaftlichen Sinn nutzbar gemacht und zu welchem Grad fanden sie Einzug eine eine „herkömmliche Tourismusindustrie“?

f. Welche (politischen) Aktivitäten wurden und werden von den politisch motivierten Reisenden in ihren Reisedestinationen vollzogen, in welche Gruppen lassen diese sich einteilen und von wem wurden und werden sie organisiert?

g. Welche von den Reisen „mitgebrachten“ politische Ideen und Konzepte fanden in einer Vergangenheit und finden gegenwärtig Einzug in eine Realpolitik bzw. in politischen Bewegungen in den Herkunftsländern der Reisenden?

h. Welche politischen Ideen wurden und werden durch den Reiseakt selbst bzw. durch die aus ihm entstehenden (politischen) Kulturkontakte generiert?

i. Inwieweit unterscheidet sich politischer Tourismus unter zwei Bedingungen: 1. der Revolutionsgedanke ist Teil der offiziellen Regierungspolitik und 2. er wird durch oppositionelle Kräfte verfolgt?

4. Private Dimension

Der privaten Dimension wird in der angestrebten Studie ein besonderer Stellenwert beigemessen, da die zu realisierende Feldforschung naturgemäß die betreffenden Menschengemeinschaften und die ihnen zugeordneten Individuen in den Mittelpunkt der Forschungsaktivitäten stellt. So sind die Informationen, die von den betreffenden Akteuren direkt eingeholt werden können – und schließlich ihre wissenschaftliche Interpretationen – fundamentaler Bestandteil des Forschungsergebnisses. Die private Dimension lässt sich in zwei Subdimensionen unterteilen, was wiederum in der Tourismusanthropologie eine gängige Praxis darstellt. Diese zwei Subdimensionen bestehen dementsprechend aus a. der Gruppe der Reisenden und aus b. der Gruppe der „Empfangenden“.

a. Wer waren und wer sind die politischen Reisenden in den Ländern Lateinamerikas?

a1. Welchen politischen Strömungen lassen sie sich zuordnen?

a2. Wie wurden sie politisch sozialisiert bzw. welche politischen Ideen verfolgen sie und wie wurden diese zu einem Teil ihrer „politischen Identität“?

a3. Inwieweit lassen sich ihre Vorstellungen und Sehnsüchte mit dem (touristischen) Bedürfnis nach Gegenwelterlebnissen erklären?

a4. Wie stehen in ihren Ansprüchen an das Reiseerlebnis Images, politische Utopien, realpolitische Zusammenhänge und politische Ideologien zueinander im Verhältnis und wo ergeben sich aus diesem Verhältnis heraus Befriedigungen, Widersprüche und persönliche Zweifel?

a5. In welchem Verhältnis stehen Erwartungen vor, Erfahrungen während und praktische Überführungsmöglichkeiten von Erfahrungen in die heimische Lebensrealität nach einer politischen Reise zueinander und wo ergeben sich Diver- genzen und Deckungsgleichheiten?

a6. Wie stehen spezifische Moralvorstellungen, Vorstellungen von einer „besseren (Gegen-)Welt“ und die Erwartungen an das politische Reiseerlebnis in Verbindung?

a7. Welche Vorstellungen von „lateinamerikanischem Leben“ bzw. welche Klischees und Kulturimages nähren die Erwartungen der Reisenden, während ihrer Reisen auch politische Gegenwelten entdecken zu können?

a8. Inwieweit führen Vorstellungen von Lateinamerika und dessen Kultur- und Politkentwicklung eventuell zu einer Verklärung der tatsächlichen Verhältnisse? Wie ist der Gedanke der „Romantisierung“ zu bewerten bzw. wo findet eine „Romantisierung“ der geschichtlichen Entwicklungen und der kontemporären gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse statt?

a9. Wie gehen politisch Reisende mit eindeutigen Divergenzen zwischen den eigenen politischen Idealvorstellungen und den tatsächlichen politischen Verhältnissen im Reiseland um, wenn letztere vorher aus der Ferne ebenfalls als ideal imaginisiert wurden?

a10. Welche Rolle spielen persönliche Weiterentwicklung, persönlicher Erkenntnisgewinn, individuelle Statuserhöhung und Abenteuerlust bei der Reisemotivation politisch Reisender?

a11. Wie werden Erfahrungen einer politischen Reise im Heimatland (politisch) verwertet bzw. welche (politischen) Aktions- und Transformationsmöglichkeiten ergeben sich aus den Erfahrungen einer politischen Reise in den Ländern Lateinamerikas für die Akteure im Heimatland?

a12. Wie werden politische Reiseziele in die Reisen normaler Touristen integriert und aus welchen Motiven geschieht dies?


b. Welche gesellschaftlichen Gruppen in den einzelnen lateinamerikanischen Ländern sind am Phänomen des politischen Tourismus in Lateinamerika beteiligt; wer sind wichtige Akteure?

b1. Aus welchen Gründen wird politischer Tourismus in den betreffenden Regionen von den einheimischen (politischen) Akteuren gefördert?

b2. Welchen Nutzen hat politischer Tourismus für die Politikentwicklung der unterschiedlichen Destinationsregionen?

b3. Wo und wie finden politische Transformationsprozesse statt, die durch den politischen Tourismus und die durch ihn generierten politischen Kulturkontakte und Ideenflüsse maßgeblich beeinflusst werden?

b4. Wie reagieren die einzelnen politischen Akteure auf das internationale Interesse an deren politischen Ideen und Politikentwicklungen?

b5. Wo entstehen Konflikte und Wahrnehmungsdifferenzen zwischen Reisenden und Empfangenden im Zuge politischer Reisen in Lateinamerika?

b6. Wo und wie tragen politische Kulturkontakte im Einzelnen auch zu Austausch- und Transformationsprozessen in nicht politischen gesellschaftlichen Bereichen bei?

b7. Wie beeinflussen von den politisch Reisenden „mitgebrachte“ Images und Klischees das Politikverständnis der beteiligten Akteure des Reiselands bzw. dessen Politikentwicklungen?

b8. Wie wird politischer Tourismus in den Reiseländern organisiert und wie wird er beispielsweise auch ökonomisch Nutzbar gemacht?

b9. Welchen Einfluss haben politische Reisen auf eine Integration der betreffenden politischen Ideen bzw. Regionen in die Weltgemeinschaft?