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Konzept der Studie

2. Zum Forschungsstand


Lange Zeit verhinderte ein sogenannter antitouristischer Diskurs eine ausreichende und dementsprechend fruchtbare Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Tourismus innerhalb der Kulturanthropologie. Durch die zunehmende Einsicht unter den Wissenschaftsakteuren, dass der Tourismus mehr als nur Oberflächlichkeiten zu generieren vermag und demzufolge tiefgehende kulturelle und soziale Funktionen erfüllt, konnte eine Verweigerung vor diesem Feld aber gerade in den letzten zwei Jahrzehnten weitestgehend aufgebrochen werden und es erschien eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten, die sich eben mit diesen Funktionen des Tourismus auseinandersetzen und diese in gebührender Weise zu analysieren vermochten.
Nun wurde bereits darauf hingewiesen, dass im Zuge dieser Auseinandersetzung der Fokus weitestgehend auf den Massentourismus als zumindest quantitativ hervortretensten Tourismustypus gerichtet war und ist.
Zwar erschienen zudem wichtige Werke, die sich auch mit zu diesem Typus alternativen Reiseformen beschäftigten, doch gingen – auch darauf wurde bereits hingewiesen – diese letztlich oft nicht über die Feststellung von Ähnlichkeiten zum Massenphänomen und dementsprechend die Analyse gemeinsamer sozialer und kultureller Funktionen hinaus. Vor allem die politische Dimension wurde vor dem Hintergrund einer vornehmlichen Konzentration auf kulturelle Anpassungsvorgänge oft gänzlich vernachlässigt.
Nur wenige Werke beschäftigten sich dementsprechend mit den politischen Transformationsprozessen, deren ein politisch motiviertes Reisen vorgelagert beziehungsweise deren Resultat sie sind
Diese Situation gab mir schließlich den Anlass, mich bereits im Zuge meiner Magisterarbeit mit dem politisch motivierten Tourismus auseinanderzusetzen und eine Übersicht der unterschiedlichen Formen dieses Spezialtypus zu erstellen. So versuchte ich über ein Akteur-Funktions-Schema des politisch motivierten Tourismus unter Einbezug von entsprechenden Beispielen eine Kategorisierung vorzunehmen, die alle Privatreisen mit politischem Hintergrund auf theoretischer Ebene zusammenfasst beziehungsweise diese einordbar macht. Letztlich kann diese Arbeit als einführende Basisarbeit für die angestrebte Dissertation angesehen werden, da sie den Begriff des politisch motivierten Tourismus erstmals als Grundeinheit für eine tourismuswissenschaftliche Studie einführte und die Bearbeitung der politischen Dimension der rein kulturellen voranstellte.
Über die sogenannte Solidaritätsbewegung einer „internationalen Linken“, die sich mit linker lateinamerikanischer Politik identifiziert und diese als Anknüpfungspunkt für die eigene politische Arbeit wahrnimmt, gibt es einige Arbeiten, die gleichsam als Basis für eine umfassende Darstellung linker Reisebewegungen auf dem Subkontinent herangezogen werden können. Hierbei zu bemerken ist jedoch, dass sich diese Arbeiten allzu oft auf die „Ahnen“ kontemporären politisch motivierten Tourismus in Lateinamerika beziehen, also eher die Anfänge der 60er, 70er und 80er Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts vor dem Hintergrund eines vergangenen politischen Zustands behandeln und das Phänomen als abgeschlossenes oder zumindest als geschlossenes und historisch festgelegtes Reisesystem vor der Entwicklung kontemporärer politischer Reisebewegungen betrachten.
Zusammenfassend sei an dieser Stelle festgestellt: Ein umfassendes und zusammenhängendes Werk über aktuelle linkspolitische Reisedestinationen in Lateinamerika, über die geschichtlichen, kulturellen, sozialen und politischen Hintergründe des Phänomens des Linkstourismus in Lateinamerika, über Motivationsstrukturen und Aufenthaltsgestaltung heutiger linkspolitisch Reisender und schließlich über die politischen Transformationspotentiale der Aktivitäten dieser in Bezug auf politische Arbeit und Politikgestaltung im Reise- sowie Heimatland – wie es die geplante wissenschaftliche Arbeit zu sein anstrebt – ist bisher nicht ausfindig zu machen. Nichtsdestotrotz lässt sich wertvolle Basisliteratur finden, deren Informationspotentiale und Erkenntnisgewinne für die angestrebte Arbeit nutzbar gemacht werden können. Einen Ausschnitt wichtiger Werke findet der Leser unter dem Punkt „Literatur“.